1998 – nächste Etappe Bilbao

Da bin ich jetzt. Gefangen auf dem Schiff und inmitten meines persönlichen Abenteuers. In mir vibriert es vor Aufregung. Was mag kommen die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate,…? Ich kann kaum an mich halten und schreibe anfangs mehrmals täglich in mein Tagebuch.

Sonntag, der 26.04.1998 – 14:00

… Das faszinierende aber daran war, dass Schiffe langsam aus dem Nichts auftauchten und wieder darin verschwanden. Die Sicht wurde immer schlechter. Regen hat eingesetzt. Plötzlich sehe ich ein hell erleuchtetes Schiff. Von diesem Schiff aus startet ein Boot und hält auf uns zu. … Dann bemerke ich, dass es auf einen Frachter hinter uns zu steuert. Komisch! Dann erkenne ich den Schriftzug „LOTSE“ ! ….. Es regnet immer stärker. Leuchtbojen tauchen aus dem Grauschleier auf und verschwinden wieder darin. Meine Hose ist durch und durch nass und doch – ich kann nicht anders – ich freue mich so sehr, dass ich vor Freude schreie! …

Auszug aus meinem Tagebuch

Habe nach dem Ablegen in Hamburg erfahren, dass unser erster Zielhafen Bilbao in Spanien ist. Es hieß, es wären drei Tage bis dorthin. Bin immer noch verwundert, dass ein Container-Frachter der rund um den Globus fährt nicht größer ist. Ich weiß noch von all‘ den gelesenen Abenteuerberichten, dass je kleiner das Boot ist, umso stärker spürt man die See. Habe jedenfalls Pillen gegen die Seekrankheit dabei.

Wir durchfahren den Ärmelkanal. Von meiner Position aus, kann ich beide Ufer sehen. Das französische und das britische. Mir war nie klar, dass sie so nahe beieinander liegen.

Sonntag, der 26.04.1998 – 22:15

Heute Nachmittag haben wir, Daniel und ich, den Bug erkundet. Einfach traumhaft. Das wird wohl mein Platz sein, an dem ich mich oft aufhalten werde. Ein Platz zum meditieren. Ein Platz zum Alleinsein. Ein Platz zum Nachdenken. Ein Platz um mit IHR zu sprechen. Ein Platz nur für mich. ….

Montag, der 27. April 1998 – 08:00

Wir scheinen jetzt frei vom Ärmelkanal zu sein …, denn das Schiff geht ganz deutlich auf und ab. Jedes Mal wenn es AUF geht, dann scheint es zu beschleunigen. Beim AB hingegen scheint es zu bremsen. Ob ich schon grün im Gesicht bin? Jedenfalls lasse ich heute Morgen das Frühstück aus. Will nichts riskieren!

Auszüge aus meinem Tagebuch
Als wir die Bretagne umfuhren war die See deutlich rauer und die Gischt spritzte durch das Ankerloch hoch bis an Deck.

An Bord eines Frachtschiffs gibt es keinen Komfort. Beworben hatte man dieses Schiff mit dem Vorhandensein eines Pools. Auf der Suche danach stieß ich auf ein türkisfarbenes 1,5m tiefes und 2,5m x 1,5m großes Loch. Die gesamte Fahrt war maximal Regenwasser drinnen. Soviel zu Reisebüroaussagen. Es gab auch einen Fitnessraum. Mit Sprossenwand, Gewichten, Ergometer und einem Tischtennis-Tisch. Ist ein sehr eigenartiges Gefühl bei einem schwankenden Boden Tischtennis zu spielen …. Am Besten von alledem war die Sauna. Zumindest anfangs. In südlicheren Gefilden und einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von 100% und über 30°C im Schatten wurde sie ziemlich obsolet!

Am 28.04.1998 gegen 23°° haben wir angelegt. Das erste Mal. Angelegt am Hafen und wir haben „Landgang“. Gespannte Erwartung. Vibrieren vor Aufregung bei der Anfrage des Kapitäns, ob dieser bereits heute diesen freigibt. Kurzes Nicken. Kein Problem. Ist noch Europa. Später wird das anders gehandhabt. Landgang bedeutet auch: „Ich könnte umkehren!“ Dieser Gedanke kommt mir erst, als ich meiner Mutter zum Geburtstag gratuliere.

Am späten Nachmittag waren wir bereits vor Bilbao und gingen vor Anker, um auf einen Lotsen zu warten.
Endlich im Hafen von Bilbao.

Bilbao ist eine Industriestadt im Norden Spaniens (mehr darüber bei Wikipedia: Bilbao). Es entspricht nicht wirklich dem, was sich der deutschsprachige Mitteleuropäer von Spanien vorstellt. Es hatte kaum über 10°C und war trüb und regnerisch. An den zwei Tagen an denen wir vor Anker lagen war nichts mit spanischem Flair und knapp gekleideten Señoritas. Ich sah nur Lagerhallen und Regenschirme. Das hat uns dennoch nicht aufgehalten Bilbao Hallo zu sagen. Mathew sagt bevorzugt mit schwerer Zunge hallo. Daher tingelten wir von Bar zu Bar. Schlussendlich war er so dicht, dass Daniel und ich ihn zwischen uns klemmten.

Und jetzt noch das Kuriosum des Tages:


In Bilbao lag ein Schiff vor Anker mit dem Namen LECH und WIEN.
Es fährt unter österreichischer Flagge und am Schornstein kann man bei gutem Willen das Blatt einer etwas nicht ganz so legalen Pflanze erkennen.
Ich jedenfalls hatte mich gewundert und ein Beweisfoto gemacht.

Rückblickend kann ich das Reisen mit Frachtschiffen wärmstens empfehlen. Hier dazu ein Wikipedia-Eintrag: Frachtschiffreisen Es gibt einige Anbieter, von denen ich weiter unten welche aufzähle und verlinke. Die Liste ist jedoch nicht vollständig.

Was macht den Reiz aus mit einem Frachschiff zu reisen? OK – ich war ja zunächst am Schauen, ob ich irgendwo auf einem Schiff jobben kann. Doch bin ich was Reisen angeht sowieso Individualist. Pauschaltourismus ist nicht das Meine. Dann habe ich keine hohen Ansprüche was den Komfort angeht. Ja – Sauber soll sein (während meiner Reise musste ich diesen Anspruch immer wieder mal nach unten korrigieren). Auch benötige ich im Urlaub kein Riesenbuffet, keine 5-Gänge-Menüs. Auf so einem Schiff isst man mit der Schiffsbesatzung. Allerdings sitzt man am Kapitäns-Tisch, muss sich also benehmen.

Doch man ist ja viele Tage auf dem Schiff. „War dir nicht langweilig?“ Nein! Ganz klar. Sicher gab es Zeiten mit Leerlauf. Die Weite und Ruhe auf See, der Wind im Gesicht, das Schlagen der Wellen, das Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit, das Sein und Geschehen lassen waren so intensiv, dass mir nie langweilig wurde. Ich konnte Stundenlang über das Meer blicken, lesen, sinnieren, meditieren, mich mit Daniel (und den anderen) unterhalten oder Schach beziehungsweise Tischtennis spielen, Pläne schmieden, mir Sorgen machen, mich Freuen,… Einfach die Seele baumeln lassen, denn ich wusste ich kann es nicht beeinflussen. Bis wann ich in Callao/Peru ankomme hängt von so vielem ab, aber sicher nicht von mir!


6 Antworten zu „1998 – nächste Etappe Bilbao”.

  1. sehr interessant und bin gespannt wie es weitergeht !

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    1. .. freut mich .. ist schön diese Zeit nochmals erleben zu dürfen – diesmal sogar mit dir und den anderen, die bei mir vorbeischauen .. !

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      1. das ist doch sehr schön !!! Ich liebe auch Erinnerungen !

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  2. Auf einem Frachtschiff wäre ich auch nur zu gerne mal für eine Weile gereist. Leider hat sich das jedoch nie so ergeben. Deshalb lese ich jetzt sehr interessiert bei dir mit. 😉

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  3. Bin gespannt auf die Fortsetzung.

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