1998 / Bolivia – Lago Titicaca und Copacabana

Samstag, der 30. Mai 1998 – 07:25

Jetzt sitze ich im Zug nach Puno zum Lago Titicaca. Die Welt ist doch verrückt! Seit ich weiß, dass ich in die Anden gehe und seit ich weiß, dass Machu Picchu DER Ort für Andenreisende ist, seit dem war ich davon überzeugt, dass ich dorthin will! Auch als ich in Lima war und um ein Visa für mehr als 30 Tage kämpfte, um ausreichend Zeit für Machu Picchu und Peru zu haben.

Auszug aus meinem Tagebuch

Cuzco und Machu Picchu als Pflicht

Cuzco ist voller Touristen. Beinahe alle „Gringos“ und „Gringas“ mit nur einem Ziel: Machu Picchu. Täglich verlassen Busse und der Zug Cuzco in diese Richtung. Will ich wirklich dieser Herde nachrennen? Der Tourismus war 1998 bereits so dominierend, dass mehrere Fast-Food-Ketten eröffnet hatten. Inklusive einer Döner-Bude. Bosporus und New York in den Anden. Will ich das?

Antonio, der Brasilianer, schwärmt mir schon seit zwei Tagen vom einzigartigen Ambiente von Lago Titicaca und dem Wallfahrtsort Copacabana (nein – nicht das in Brasilien) vor. War ja relativ K.O. durch das Fieber und ein wehrloses Opfer. Unverhofft bittet er mich ihm ein paar Edelsteine abzukaufen. Er hat eine Frau kennengelernt und will sie mit in seine Heimat nehmen. Er muss so schnell als möglich all sein Zeug verkaufen. Jeden Tag muss er essen und sein Zimmer zahlen. Je früher desto besser. Seine Zukünftige schaut mich mit verzweifeltem Blick an. Was soll ich mich denn da groß wehren. Ob das wirklich die 100 US$ Wert ist, weiß ich nicht. Auch egal. Ich kann einem Amigo auf Reisen helfen. Das ist Usus unter Globetrottern. Zumindest denkt man drüber nach. …..

Ausserdem habe die Beiden einen Wunden Punkt in mir getroffen, denn ich denke immer wieder an SIE. Tagsüber. Nächtens. Träume von IHR. Rede mit IHR. Ach Scheisse!

wie entscheiden … ?

Samstag, der 30. Mai 1998 – 07:25

… reifte in mir der Entschluss nicht nach Machu Picchu zu reisen. Reifte in mir der Entschluss Antonios Ansinnen zu entsprechen und ihn dabei zu unterstützen seine Frau mit nach Brasilien nehmen zu können. Zuhause werden sie überrascht sein, wenn meine nächsten Lebenszeichen aus einer ganz anderen Richtung kommen, als der Erwarteten. Nach der Meditation fühlte ich mich befreit. Doch mich jagen schon wieder Zweifel. Ich habe vor allem Bedenken in welchem Tempo das Geld mich verlässt. Jetzt die 100 Dollar für Antonio. Aber die beiden wirkten so glücklich und Antonio ist ein wirklich feiner Mensch. Er versicherte mir, dass sollte ich jemals nach Nova Friburgo [in Brasilien] kommen, so hätte er immer ein Bett für mich. Wir unterhielten uns bis nach Mitternacht.

Um 07:00 Uhr war ich dann am Bahnhof nach Puno. Hier stellte sich dann heraus, dass Reiseführer nicht alles wissen, denn die Fahrt war 9,– US$ teurer als geplant.

Das Hochland ist einfach ein Traum! Karg. Gebrigig. Weit. Der Himmel mit phantastischen Farben. Ich kann es kaum beschreiben. Wenn nur die Luft nicht so dünn wäre. Langsam fuhr der Zug durch die zunächst schmalen Täler. Dann der Altiplano. WOW! Um kurz nach 20:00 Uhr kamen wir in Puno an. Im Hotel dort lernte ich eine Deutsche kennen. Mit ihr ging ich dann noch in die City.

Auszug aus meinem Tagebuch

Puno ist Zugendstation. Von hier aus geht es nur mehr per Bus weiter. Oder per Schiff. Puno liegt nördlich des Titicacasees mit zahlreichen Inseln und hohem Schilfaufkommen. Der See hat hier künstlich angelegte schwimmende Schilfinseln. Hergestellt von den Urus. Auch ihre Boote werden aus Schilf hergestellt. Ähnlich wie die Bewohner Venedigs hatten sich diese von den Kriegshandlungen auf dem Festland zurückgezogen.

Da ich mich nah am Äquator befinde wechseln Tag und Nacht abrupt. Keine halbe Stunde – schon ist es Tag. La-go Ti-ti-ca-ca. Ein Jahr zuvor hätte ich noch behauptet, dass es den nicht gibt. Dass er eine Erfindung von Pipi Langstrumpf wäre. Doch er ist Real – Irreal. Blicke über den See. Gigantisch. Sehe das andere Ufer nicht. Nur die 6000er dahinter. Der Lago Titicaca ist auch anders als die Anderen. Der höchste schiffbare See der Welt. Er liegt auf einer Höhe von 3812 m über dem Meeresspiegel, ist 178 km lang und bis 67,4 km breit und hat eine durchschnittliche Tiefe von 107 m. Das Klima am See ist mild für fast 4000m. Das und die Verfügbarkeit von Wasser gelten als Grundlage dafür, dass diese Gegend als Wiege der Kartoffel gilt. Mehr zu diesem See bei Wikipedia.

Lago Titicaca und Copacabana

Tags drauf. Per Bus dem See entlang nach Copacabana in Bolivien. Abwechslungsreich. Eindrucksvoll. Wie sich herausstellt, habe ich auch Glück. Ein Tag danach wurde ein Touristenbus überfallen. Eine Frau soll vergewaltigt worden sein. Ich befinde mich nicht im „sicheren“ Mitteleuropa. Das wird mir von Mal zu Mal bewusst. Gut, dass ich mich an die Fortbewegungsmittel der heimischen Bevölkerung halte und mich nicht den Touristen anschließe. Das ist zwar deutlich unbequemer, aber dafür sicherer. Die meisten Indigenas (hauptsächlich Aimara) sind neugierig und gesprächig. Dass ich nichts verstehe scheint ihnen egal. Das macht das Reisen kurzweiliger. Sie wollen wissen woher ich komme. Warum ich Reise. Was ich hier mache. Ich werde zum Trinken genötigt. In Erinnerung an Cuzco schlage ich aus. Mir wird eine Tochter angeboten. Auch das schlage ich aus.

Dann unterhalte ich mich mit drei jungen Frauen. Sind auf der Durchreise. Zwei aus Argentinien, eine aus Uruguay. Sie sprechen etwas Englisch. Sehr gut. So habe ich jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. Sie profitieren von meinem Englisch – ich von Ihrem Spanisch. Am nächsten Tag reisen sie weiter. Ich bleibe. Will die Gegend kennenlernen. Doch: von nun an kenne ich hier niemanden mehr …. Kein Englisch mehr – solo Espanol.

Bin erstmalig wirklich alleine. Fühlt sich nicht gut an. Gar nicht gut…..

Zufahrtsstraße nach Copacabana und Blick über die Bucht auf die Stadt

Mittwoch, der 3. Juni 1998 – 07:00 Uhr

Gestern um halb acht in der Früh ging ich an den Strand, um zu meditieren. Ich war sehr verzweifelt. Das Erste Mal wirklich alleine. Niemand, mit dem ich mich gut unterhalten kann. Kein deutsch mehr. Kein Englisch mehr. Nur noch Castillano. Ich sehne mich nach IHR. Ich spüre es körperlich. Bin verzweifelt. Ich sehen mich nach meiner Familie. Tränen bilden sich und eine Flut beginnt zu fließen. Bin wieder einmal kurz davor alles hinzuschmeißen und in den nächsten Flieger zu steigen, da begegnet mir ein Wunder.

Auf einmal kam ein Hund auf mich zu. Dahinter die Besitzerin, eine Bolivianerin. Besitzerin ist gut gesagt, denn die Hündin ist eine Streunerin und hat momentan gerade die Bolivianerin adoptiert. Zuerst wurde ich auf spanisch angesprochen. Ich blickte sie verständnislos an. Dann sprach sie Englisch. Ich war zu überrascht, um zu reagioeren. Da sprach sie mich auf Deutsch an. Auf Deutsch! Man stelle sich das mal vor. In ganz Bolivien sprechen weniger als 10 Prozent Englisch und ich treffe auf jemanden der Deutsch spricht! Ich kam mit ihr ins Gespräch und sagte ihr, dass ich eine neue Unterkunft suchen würde. Da lud sie mich einfach zu sich ein. Sie wohnt in einem Haus zusammen mit Ihren Schauspieler-KollegInnen. Sie bewohnt im unteren Stock ein großes Zimmer. In dem würde sie mich einquartieren. Ich war sehr überrascht, sagte aber sofort zu.

Auszug aus meinem Tagebuch

Mit der Entscheidung für Alberto, Copacabana und dem Treffen mit Tamara, der deutschsprachigen Bolivianerin, und ihrer Streunerin „Chica“ eröffnete sich eine Kette wundervoller Ereignisse, die mich bis nach Feuerland und darüber hinaus begleiten sollten.

Übrigens so als Tipp für Alleinreisende: ich war bereits am Vorabend etwas von der Rolle und traf da auf die Hündin, warf ihr etwas zu und streichelte sie. An diese Begegnung hatte sie sich wohl noch erinnert und hatte mich just an diesem Morgen dazu auserwählt von ihr begrüßt zu werden. Ich begegnete noch mehrmals Hunden. In ländlichen Gegenden Südamerikas leben diese – anders als bei uns – nicht im Haus als Familienmitglied und können daher entweder ziemlich wild sein, oder auch sehr misstrauisch und knurrig. Vorsicht ist also angeraten. Doch wenn man ihnen etwas fressbares zuwirft und sanft mit ihnen spricht, können sie auch sehr zutraulich werden. Ich hatte noch mehrere Hunde-Erlebnisse und vor Allem der Hund den ich „Perro“ nannte wird für mich immer in Erinnerung bleiben. So wie Chica, der rettende Engel aus Copacabana ….

Leider habe ich kein besseres Foto von Ihr ….

6 Kommentare zu „1998 / Bolivia – Lago Titicaca und Copacabana

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